So schnell kann es politisch also von „Sicher keine Obergrenze!“ zu „Natürlich Obergrenze!“ gehen, wenn sich die führende Politik den populistischen und – nicht schon wieder! – wahlwerbenden Inhaltslosigkeiten annähern will. Somit hat das Wort „Obergrenze“ in kürzester Zeit eindeutig an Attraktivität und Bedeutung gewonnen. Haltung – etwas, das wir in der Medizin ebenso brauchen, wie wir es uns in der Politik wünschen – suchen wir immer öfter vergeblich.
Aber so wie bei den aus Kriegsgebieten um ihr Leben fürchtenden und flüchtenden Menschen sollten wir viel mehr Obergrenzen fordern! Ich bin für Obergrenzen bei Erkältungskrankheiten im Winter, Begrenzung von Schnupfen auf höchstens drei Tage und Obergrenzen bei Verkehrsunfällen, Obergrenzen bei Krebserkrankungen und jedenfalls bei Todesfällen von Kindern! Außerdem sollten wir Obergrenzen bei resistenten Krankenhauskeimen beschließen (weil die immer so aufwendig und lästig sind), Obergrenzen der Pflegestufen in Pflegeheimen – weil wir das bei den laufenden Personaleinsparungen ohnehin nicht mehr schaffen. Die Politik will ja schon länger Obergrenzen bei der Krankenhausbettenanzahl – aber das funktioniert nicht so richtig.
Aber warum redet eigentlich niemand von den Untergrenzen? Ich bin für Untergrenzen von gelesenen Büchern. „Dann-eh-nicht-Präsidentschaftskandidaten“, die nur „Der Schatz im Silbersee“ gelesen haben, würden dann gar nicht unnötig lange mitüberlegt werden. Außerdem sollten jene, die eindeutig „nur drei Bier bestellt haben“ sich an Untergrenzen halten und anständig bestellen! Auch die Frauenquote der oberösterreichischen Landesregierung schreit nach einer Untergrenze. Und weiter wäre zu fordern eine Untergrenze an Empathie und Zuwendung den behandelten und betreuten PatientInnen gegenübe. Auch die Untergrenze der Gesprächszeit mit PatientInnen ist ein wichtiges Ziel – in Zusammenhang natürlich mit Honorierung! Wir sehen also: Die Beschäftigung mit Grenzen ist sinnvoll! Beim „über die Grenzen denken“ wird es zukünftig noch mehr Zäune geben – aber das sollte uns nach wie vor nicht vom Denken abhalten!
Kommentar: Dr. Harald Retschitzegger, Präsident der Österreichischen Palliativgesellschaft (OPG)